Zwei Mädchen spielen.

Armeniens ungeborene Mädchen

In Armenien werden bis zum Jahr 2060 schätzungsweise 93 000 Mädchen fehlen – Mädchen, die nicht geboren werden durften, weil die Eltern lieber einen Sohn haben wollten. Mit einer umfassenden Studie hat UNICEF das tatsächliche Ausmass der vorgeburtlichen Geschlechterselektion erfasst und aufgrund der Forschungsresultate eine breit abgestützte Sensibilisierungskampagne realisiert. Ziel war es, eine nachhaltige Verhaltensänderungen herbeizuführen.

Buben haben in Armenien einen höheren Stellenwert als Mädchen. Tief verankerte kulturelle Normen verleiten werdende Eltern dazu, so bald wie möglich das Geschlecht ihres Nachwuchses bestimmen zu lassen. Allzu oft ziehen sie eine Abtreibung in Betracht, wenn sich eine Tochter ankündigt. 

Dass es häufig nicht beim Gedanken daran bleibt, zeigt sich insbesondere bei Dritt- und vor allem Viertgeburten: Familien, die bereits zwei Töchter haben und ein drittes Kind erwarten, möchten endlich einen Sohn. So kamen im Jahr 2018 auf 100 Mädchen 111 Buben zur Welt. Zum Vergleich: Weltweit liegt der Durchschnitt bei 103 Buben zu 100 Mädchen. Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) schätzt daher, dass bis 2060 93 000 Mädchen nicht geboren werden, nur weil sie Mädchen sind. 

In Zusammenarbeit mit der Universität Zürich, einer armenischen Frauenorganisation und dem nationalen statistischen Dienst wurde eine breit angelegte Studie durchgeführt, die ein umfassendes Bild nicht nur der Anzahl Abtreibungen, sondern auch der Hintergründe und der Entscheidungsfindung lieferte. Es handelte sich um die erste Studie dieser Art in der gesamten Region. 

Im Zentrum der Studie stand die öffentliche Wahrnehmung von geschlechterspezifischen Abtreibungen. Untersucht wurden einerseits der Wert von Mädchengeburten, andererseits die Entscheidungswege und -befugnisse innerhalb der Familie. 

Auf den Erkenntnissen dieser Studie aufbauend, hat UNICEF in einer zweiten Phase von Januar 2018 bis Dezember 2021 eine breit abgestützte Sensibilisierungskampagne für unterschiedliche Zielgruppen realisiert. Im Zentrum stand dabei ein TV-Unterhaltungsprogramm, welches sich an Mädchen und Buben richtete und ungünstige soziale Normen thematisierte. 

Parallel dazu wandte sich UNICEF Armenien landesweit an Lehrer, da die Schule eine Schlüsselrolle bei der Sozialisierung von Kindern spielt. Anhand von Lehrerfortbildungen wurden die Unterrichtenden darin geschult, geschlechtsspezifische Vorurteile im Unterricht abzubauen und integratives Lernen für Mädchen und Buben zu gewährleisten.

Obschon es aufgrund der pandemiebedingten Schulschliessungen als auch aufgrund der militärischen Auseinandersetzungen in der Konfliktregion Berg-Karabach zu Verzögerungen kam, konnte auch die zweite Phase im Dezember 2021 abgeschlossen werden. Um die Erkenntnisse aus dem Programm mit Vertretern aus Politik, dem Bildungssektor und den Medien in Armenien zu teilen, realisierte UNICEF Armenien am 20. Dezember 2021 einen erfolgreichen Online-Workshop, wo auch UNICEF Schweiz und Liechtenstein teilnahm. UNICEF Schweiz und Liechtenstein ist vom nachhaltigen Erfolg des Programms überzeugt.