Der Sudan steht vor einer beispiellosen Hunger­katastrophe

Mehr als 750 000 Menschen im Sudan sind von katastrophalem Hunger betroffen sind. Dies zeigen neuste Daten. UNICEF, WFP und FAO warnen vor einer verheerenden Hungerkatastrophe. 

© UNICEF/UN0674331/Bos
Juni 2022: Ein Mädchen erhält gebrauchsfertige therapeutische Spezialnahrung in einem Gesundheitszentrum in El Fasher, Nord-Darfur.

Laut alarmierenden neuen Prognosen zur Ernährungssicherheit steht der Sudan vor einer verheerenden Hungerkatastrophe, wie es sie seit der Darfur-Krise Anfang der 2000er Jahre nicht mehr gegeben hat. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) warnen davor, dass sich die Lage der Menschen im Sudan rapide verschlechtern wird. Die Ernährungsgrundlage der Menschen im Sudan wurde angesichts des seit mehr als einem Jahr andauernden Krieges immer weiter zerstört. Insbesondere Kinder sind bedroht. Gemeinsam haben die UN-Organisationen gross angelegte humanitäre Hilfsprogramme im Sudan sowie in den Nachbarländern, wo zwei Millionen Menschen aus dem Sudan Zuflucht suchen, mobilisiert.

Ein sofortiger Waffenstillstand und verstärkte internationale diplomatische und finanzielle Anstrengungen sowie der ungehinderte und dauerhafte Zugang für humanitäre Hilfsorganisationen sind dringend erforderlich, damit die humanitäre Hilfe weiter ausgeweitet werden kann und die Organisationen in der Lage sind, so schnell wie es erforderlich ist, zu helfen.

Die rasche Verschlechterung der Ernährungssicherheit im Sudan hat dazu geführt, dass laut einer aktuellen «Snapshot»-Analyse der «Integrated Food Security Phase Classification» (IPC) 755 000 Menschen von katastrophalem Hunger betroffen sind (IPC-Phase 5). In 14 Gebieten droht eine Hungersnot. Die Lage ist besonders gravierend in den Gebieten, die am stärksten von den Kämpfen betroffen sind und in denen viele vertriebene Menschen Zuflucht suchen. Insgesamt leiden 25,6 Millionen Menschen unter akutem Hunger (IPC-Phase 3+). Das bedeutet, dass die Hälfte der vom Krieg gezeichneten Menschen im Sudan jeden Tag darum kämpfen muss, sich und ihre Familien zu ernähren.

Dies ist das erste Mal seit Einführung der IPC-Initiative im Jahr 2004, dass im Sudan katastrophaler Hunger (IPC-Phase 5) festgestellt wurde. Im Gegensatz zur Darfur-Krise vor zwanzig Jahren erstreckt sich die derzeitige Krise über das ganze Land, einschliesslich der Hauptstadt Khartum und des Bundesstaates Jezira, der einstigen Kornkammer des Sudans.

Seit der letzten Prognose vom Dezember 2023 hat sich die Situation deutlich verschlechtert. Damals waren 17,7 Millionen Menschen von akutem Hunger (IPC-Phase 3+) betroffen. Fünf Millionen Menschen davon befanden sich in einer Notsituation (IPC-Phase 4). Heute sind 8,5 Millionen Menschen von Hunger auf Notfallniveau betroffen (IPC-Phase 4).

«Die neue IPC-Analyse zeigt, dass sich die Ernährungssicherheit im Sudan tiefgreifend und rapide verschlechtert hat und das Leben von Millionen Menschen gefährdet ist», sagte FAO-Generaldirektor QU Dongyu. «Wir liefern lebensrettendes Saatgut für die Hauptpflanzsaison. Die Uhr tickt für die sudanesischen Landwirte. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen benötigt dringend 60 Millionen US-Dollar, um den noch nicht finanzierten Teil der Massnahmen zur Verhinderung einer Hungersnot zu decken und um sicherzustellen, dass die Menschen - vor allem in schwer zugänglichen Gebieten - in der Lage sind, Nahrungsmittel zu produzieren und Nahrungsmittelknappheit in den nächsten sechs Monaten abzuwenden. Wir müssen gemeinsam handeln, in grossem Umfang und mit ungehindertem humanitärem Zugang, um Millionen von Leben zu retten.»

«Das WFP-Team im Sudan arbeitet Tag und Nacht unter gefährlichen Bedingungen, um lebensrettende Hilfe zu leisten, doch diese Zahlen bestätigen, dass die Zeit immer knapper wird, um eine Hungersnot zu vermeiden. Auf jede Person, die wir in diesem Jahr erreicht haben, kommen acht weitere, die dringend Hilfe benötigen», sagte WFP-Exekutivdirektorin Cindy McCain. «Wir benötigen dringend eine massive Ausweitung des humanitären Zugangs und der finanziellen Mittel, damit wir unsere Hilfsmassnahmen ausweiten und das Abgleiten des Sudans in eine humanitäre Katastrophe aufhalten können, die die gesamte Region zu destabilisieren droht.»

«Die aktuelle Momentaufnahme verdeutlicht die verheerenden Auswirkungen des Konflikts im Sudan auf Kinder», sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. «Hunger und Mangelernährung breiten sich in alarmierendem Masse aus. Ohne konkrete internationale Massnahmen und Finanzmittel besteht die reale Gefahr, dass die Situation völlig ausser Kontrolle gerät. Es ist keine Zeit zu verlieren. Jede Verzögerung beim ungehinderten Zugang zu gefährdeten Bevölkerungsgruppen wird an dem Verlust von Kinderleben gemessen werden.»

FAO, UNICEF und WFP treiben sektorübergreifende Massnahmen voran, um die Menschen im ganzen Sudan zu erreichen und eine Hungersnot zu verhindern

Seit Beginn des Konflikts im April 2023 hat UNICEF fast 5,5 Millionen Kinder mit Ernährungsscreenings und mehr als 322 000 Kinder, die an schwerer akuter Mangelernährung leiden, mit lebensrettender Behandlung erreicht. Gemeinsam mit seinen Partnern hat UNICEF Massnahmen ergriffen, um den Tod weiterer Kinder zu verhindern. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres hat UNICEF mehr als fünf Millionen Menschen Zugang zu sauberem Wasser verschafft und über eine halbe Million Kinder gegen Masern geimpft. UNICEF sorgt auch dafür, dass Kinder wieder lernen können, stellt Bargeldhilfen für mehr als 350 000 Schwangere und stillende Mütter und ihre Familien bereit, und unternimmt alle Anstrengungen, um Kinder vor Gewalt, Trennung von ihren Bezugspersonen und Traumata zu schützen.

WFP hat in diesem Jahr bereits mehr als drei Millionen Vertriebene und gefährdete Menschen im Sudan erreicht und stockt seine Hilfe auf, um bis Jahresende weitere fünf Millionen Menschen zu erreichen. WFP setzt sich dafür ein, den Zugang zu erweitern und neue humanitäre Korridore zu öffnen – von den Nachbarländern aus und über die Grenzlinien hinweg. In diesem Jahr hat WFP über Konvois aus dem Tschad Nahrungsmittel und Ernährungshilfe für rund eine halbe Million Menschen in der Region Darfur geliefert. In den kommenden Wochen sind weitere Konvois mit Nahrungsmitteln und Ernährungshilfe für rund 250 000 Menschen geplant. WFP stellt ausserdem Hilfsgüter an wichtigen Grenzübergängen und Versorgungsrouten bereit, da mit Beginn der Regenzeit viele Strassen in Darfur und anderen Regionen des Sudans unpassierbar werden.

Nachdem die FAO in der ersten Jahreshälfte 3,8 Millionen Menschen durch die Verteilung von Saatgut für den Winter und durch Impfungen erreicht hat, bereitet die Organisation sich nun darauf vor, mehr als 1,8 Millionen kleinbäuerliche und pastorale Haushalte im Sudan, d. h. neun Millionen Menschen, bei der Wiederaufnahme ihrer Lebensunterhaltsaktivitäten und der lokalen Nahrungsmittelerzeugung zu unterstützen. Die FAO hat fast 8000 Tonnen Getreidesaatgut (Sorghum und Hirse) gekauft und wird über 870 000 kleinbäuerliche Haushalte im gesamten Sudan erreichen, auch in Darfur und Kordofan, wo die Ernährungsunsicherheit ein katastrophales Ausmass erreicht hat. Die Erfahrung der FAO zeigt, dass Landwirte selbst in Konfliktsituationen Nahrungsmittel produzieren, wenn sie Zugang zu Land und Betriebsmitteln haben.

Jürg Keim
Leiter Medienstelle 
UNICEF Schweiz und Liechtenstein
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