Klimamigration: Über 43 Millionen Kinder innert sechs Jahren vertrieben

Laut einem aktuellen UNICEF-Bericht wurden zwischen 2016 und 2021 rund 43,1 Millionen Kinder in 44 Ländern aufgrund wetterbedingter Katastrophen innerhalb ihres Landes vertrieben. Das sind rund 20 000 Kinder pro Tag. Laut aktuellen Prognosen werden in den kommenden 30 Jahren schätzungsweise 96 Millionen Kinder allein wegen Flussübertritten zu Binnenvertriebenen

Am 17. November 2020 schützt sich in Bilwi, Nicaragua, ein Kind mit einem Plastikstuhl vor dem starken Regen und steht an der Stelle, an der einst sein Haus stand, nachdem es durch die starken Winde, Wellen und Regenfälle des Hurrikans Iota zerstört worden war.

Der Bericht „Children Displaced in a Changing Climate” ermittelt erstmalig die weltweite Zahl der Kinder, die zwischen 2016 und 2021 aufgrund von Überschwemmungen, Stürmen, Dürren und Waldbränden ihr Zuhause verlassen mussten. Die Analyse enthält auch Prognosen für die nächsten 30 Jahre. 

In absoluten Zahlen gemessen gehören China und die Philippinen zu den Ländern, in denen die meisten Kinder innerhalb ihres Landes vertrieben wurden. Zu den Gründen zählen Wetterextreme, die hohe Anzahl Minderjähriger sowie Fortschritte beim Reporting und den Evakuierungskapazitäten. Im Verhältnis zum Anteil der Kinder an der Gesamtbevölkerung waren Kinder in kleinen Inselstaaten wie Dominica und Vanuatu am stärksten von Stürmen betroffen, in Somalia und im Südsudan von Überschwemmungen.

«Es ist schrecklich für Kinder, wenn ein gefährlicher Waldbrand, ein Sturm oder eine Überschwemmung ihr Umfeld verwüstet», sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. «Die Angsterfahrung und die Auswirkungen können besonders verheerend für Kinder sein, die keine andere Wahl haben als zu fliehen. Sie sorgen sich, ob sie in ihr Zuhause zurückkehren oder wieder zur Schule gehen können, und ob sie erneut fliehen müssen. Die Flucht mag ihnen das Leben gerettet haben, doch sie ist eine sehr erschütternde Erfahrung. So wie die Auswirkungen des Klimawandels immer grössere Ausmasse annehmen, werden auch klimabedingte Fluchtbewegungen zunehmen. Wir haben die Mittel und das Wissen, um dieser eskalierenden Herausforderung für Kinder zu begegnen, doch wir handeln viel zu langsam. Wir müssen uns verstärkt darum bemühen, bedrohte Gemeinden besser auf den Schutz von Kindern vorzubereiten und diejenigen zu unterstützen, die bereits ihr Zuhause verlassen mussten.»

Überschwemmungen und Stürme waren für 95 Prozent (40,9 Millionen) der Fälle der zwischen 2016 und 2021 registrierten Vertreibungen von Kindern verantwortlich. Dies ist zum Teil auf besseres Reporting sowie präventive Evakuierungen zurückzuführen. Mehr als 1,3 Millionen Kinder wurden wegen Dürren innerhalb ihres Landes vertrieben – auch hier gehören der Südsudan und Somalia zu den am stärksten betroffenen Ländern. Rund 810 000 Kinder wurden aufgrund von Waldbränden binnenvertrieben, insbesondere in Kanada, Israel und den USA.

Die Entscheidung, das Zuhause angesichts einer Katastrophe oder im Rahmen einer präventiven Evakuierungsmassnahme zu verlassen, erfolgt häufig abrupt und notgedrungen, um Leben zu retten. Viele Kinder sind mit Gefahren und grossen Herausforderungen konfrontiert, die mit der – oft länger andauernden – Vertreibung einhergehen.

Besonders gefährdet sind Kinder in Ländern, die von mehreren Krisen gleichzeitig betroffen sind, beispielsweise einem Konflikt und Armut. Hier sind die lokalen Kapazitäten begrenzt, um den zusätzlichen Herausforderungen von Vertreibungen zu begegnen.  

So wird in Haiti die Gefahr, dass Kinder aufgrund von Katastrophen vertrieben werden, durch die vorherrschende Armut und Gewalt verstärkt. Es gibt zudem nicht genug Investitionen in Massnahmen zur Risikominderung und Katastrophenvorsorge. In Mosambik sind die ärmsten Gemeinden unverhältnismässig stark von extremen Wetterereignissen betroffen. Gerade in Ländern, in denen das Risiko einer Vertreibung für Kinder besonders gross ist und Mittel zur Bewältigung von Krisen fehlen, werden dringend Massnahmen zur Risikominderung und Anpassung an die Folgen des Klimawandels, die Katastrophenvorsorge sowie die dafür erforderlichen finanziellen Mittel benötigt. 

Basierend auf einem Risikomodell des Internal Displacement Monitoring Centre und aktuellen Klimadaten zeigt der Bericht auch, dass in den kommenden 30 Jahren rund 96 Millionen Kinder allein aufgrund von Flussübertritten vertrieben werden könnten. Im selben Zeitraum laufen rund 10 Millionen Kinder Gefahr, wegen Wirbelstürmen und 7,2 Millionen wegen Sturmfluten vertrieben zu werden. Da sowohl die Häufigkeit als auch die Intensität extremer Wetterereignisse infolge des Klimawandels zunehmen, ist davon auszugehen, dass die tatsächlichen Zahlen noch höher sein werden.

UNICEF arbeitet mit den Regierungen der am stärksten gefährdeten Länder zusammen, um sich auf die Risiken von Vertreibungen vorzubereiten und ihre Auswirkungen zu mindern. Gleichzeitig trägt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen dazu bei, kinderzentrierte Strategien zum Katastrophenschutz sowie zur Anpassung an den Klimawandel zu entwickeln.  Dabei geht es auch um die Umsetzung kontextspezifischer Massnahmen, um Kinder vor, während und nach einer Katastrophe zu schützen.

UNICEF ruft Regierungen, Mittelgeber, Partner und Akteur*innen des Privatsektors dazu auf:

•    Kinder und Jugendliche vor den klimabedingten Auswirkungen von Katastrophen und Vertreibungen zu schützen und dafür zu sorgen, dass grundlegende soziale Dienste für Kinder – u.a. in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung, Ernährung, soziale Sicherung und Kinderschutz – stabiler, flexibler und integrativer gestaltet werden.

•    Kinder und Jugendliche auf ein Leben in einer durch den Klimawandel veränderten Welt vorzubereiten. Dazu gehört, ihre Anpassungsfähigkeit und Resilienz zu stärken und sie in die Entwicklung von Lösungen einzubinden.

•    Kinder und Jugendliche – einschliesslich derer, die bereits aus ihrem Zuhause vertrieben wurden – bei allen Massnahmen zum Katastrophen- und Klimaschutz und ihrer Finanzierung, der humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sowie bei Investitionen in den Mittelpunkt zu stellen. 
 


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