Durchimpfung von Kleinkindern seit der Pandemie weltweit stark gesunken

Ein neuer UNICEF-Bericht zeigt, dass 67 Millionen Kinder in den letzten drei Jahren die Routineimpfungen ganz oder teilweise verpasst haben. Dies ist auf die Unterbrechung der Versorgung durch überlastete Gesundheitssysteme und die Umleitung knapper Ressourcen, Konflikte und Fragilität sowie auf das gesunkene Vertrauen zurückzuführen.

Im Gouvernement Aden, Jemen, hält die 7-jährige Hind Ali Nasser ihren Arm, nachdem sie geimpft wurde.

Der Bericht «State of the World's Children» 2023 «For Every Child, Vaccination» zeigt, dass die Wahrnehmung der Bedeutung von Impfungen für Kinder in Ländern wie der Republik Korea, Papua-Neuguinea, Ghana, Senegal und Japan nach Beginn der Pandemie um mehr als ein Drittel zurückgegangen ist. In den neuen Daten, die vom «The Vaccine Confidence Project» erhoben und heute von UNICEF veröffentlicht wurden, waren China, Indien und Mexiko die einzigen untersuchten Länder, in denen die Wahrnehmung der Bedeutung von Impfstoffen unverändert blieb oder sich sogar verbesserte. In den meisten Ländern gaben Menschen unter 35 Jahren und Frauen nach Beginn der Pandemie an, weniger Vertrauen in Impfstoffe für Kinder zu haben.*

Das Vertrauen in Impfstoffe ist unbeständig und zeitabhängig. Zusätzliche Datenerhebungen und weitere Analysen sind erforderlich, um festzustellen, ob die Ergebnisse auf einen längerfristigen Trend hindeuten. Trotz des Rückgangs ist die Unterstützung für Impfstoffe insgesamt weiterhin relativ gross. In fast der Hälfte der 55 untersuchten Länder hielten mehr als 80 Prozent der Befragten Impfstoffe für wichtig für Kinder. 

Der Bericht warnt jedoch vor dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die darauf hindeuten, dass die Gefahr einer zögerlichen Haltung gegenüber Impfungen zunehmen könnte. Zu diesen Faktoren gehören: 

-    die Ungewissheit über die Reaktion auf die Pandemie, 
-    der zunehmende Zugang zu irreführenden Informationen, 
-    das schwindende Vertrauen in Fachwissen und 
-    die politische Polarisierung.

«Auf dem Höhepunkt der Pandemie haben Wissenschaftler in kürzester Zeit Impfstoffe entwickelt, die unzählige Leben gerettet haben. Doch trotz dieser historischen Leistung waren Angst und Desinformation über alle Arten von Impfstoffen so weit verbreitet wie das Virus selbst», sagte Catherine Russell, UNICEF-Exekutivdirektorin. «Diese Daten sind ein beunruhigendes Warnsignal. Wir dürfen nicht zulassen, dass das Vertrauen in Routineimpfungen ein weiteres Opfer der Pandemie wird. Andernfalls könnte die nächste Welle von Todesfällen mehr Kinder betreffen, die an Masern, Diphtherie oder anderen vermeidbaren Krankheiten leiden.»

Vertrauen in Imfpschutz durch Pandemie weiter abgenommen
Alarmierend ist, dass der Rückgang des Vertrauens in den Impfschutz von Kindern in den letzten 30 Jahren durch die Covid-19-Pandemie noch zusätzlich angeheizt wurde. Durch die Pandemie wurde die Durchimpfung von Kindern fast überall unterbrochen, vor allem aufgrund der starken Beanspruchung der Gesundheitssysteme, der Umleitung von Impfressourcen für die Covid-19-Impfung, des Mangels an Gesundheitspersonal und der Massnahmen zur Vermeidung von Hausbesuchen. 

In dem heute veröffentlichten Bericht wird davor gewarnt, dass zwischen 2019 und 2021 67 Millionen Kinder die Routineimpfungen ganz oder teilweise verpasst haben, wobei die Durchimpfungsraten in 112 Ländern sinken. Kinder, die kurz vor oder während der Pandemie geboren wurden, sind jetzt nicht mehr in dem Alter, in dem sie normalerweise geimpft werden, was unterstreicht, dass dringend Massnahmen ergriffen werden müssen, um die versäumten Impfungen nachzuholen und tödliche Krankheitsausbrüche zu verhindern. 

Im Jahr 2022 zum Beispiel war die Zahl der Masernfälle mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr. Die Zahl der durch Polio gelähmten Kinder stieg 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent. Vergleicht man den Zeitraum 2019 bis 2021 mit dem vorangegangenen Dreijahreszeitraum, so hat sich die Zahl der durch Polio gelähmten Kinder verachtfacht, was deutlich macht, dass die Impfanstrengungen fortgesetzt werden müssen.

Die Pandemie hat auch die bestehenden Ungleichheiten verschärft. Für viel zu viele Kinder, insbesondere in den am stärksten marginalisierten Gemeinschaften, sind Impfungen immer noch nicht verfügbar, zugänglich oder erschwinglich. Schon vor der Pandemie waren die Fortschritte bei der Impfung fast ein Jahrzehnt lang ins Stocken geraten, da die Welt darum kämpfte, die am meisten benachteiligten Kinder zu erreichen.

Am wenigsten Durchimpfungen in Indien und Nigeria
Von den 67 Millionen Kindern, die zwischen 2019 und 2021 eine Routineimpfung verpasst haben, haben 48 Millionen keinen einzigen Routineimpfstoff erhalten, auch bekannt als «Null-Dosen». Ende 2021 gab es in Indien und Nigeria (beides Länder mit sehr grossen Geburtsjahrgängen) die meisten Kinder, die keine Impfung erhalten haben. Aber auch in Myanmar und auf den Philippinen stieg die Zahl der Kinder, die keine Impfung erhalten haben, besonders stark an.

Die Kinder, die zu kurz kommen, leben in den ärmsten, abgelegensten und ausgegrenzten Gemeinden, die mitunter von Konflikten betroffen sind. Neue Daten, die das «International Center for Equity in Health» für den Bericht erstellt hat, zeigen, dass in den ärmsten Haushalten eines von fünf Kindern nicht geimpft ist, während es in den wohlhabendsten Haushalten nur eines von 20 ist. Dem Bericht zufolge leben ungeimpfte Kinder oft in schwer zugänglichen Gemeinden wie ländlichen Gebieten oder städtischen Slums. Sie haben oft Mütter, die nicht zur Schule gehen konnten und wenig Mitspracherecht bei Familienentscheidungen haben. Diese Herausforderungen sind in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen am grössten, wo etwa eines von zehn Kindern in städtischen Gebieten keine Impfung erhält und eines von sechs in ländlichen Gebieten. In Ländern mit höherem mittlerem Einkommen gibt es fast keine Unterschiede zwischen Stadt- und Landkindern.

Damit alle Kinder geimpft werden können, muss die primäre Gesundheitsversorgung gestärkt und das meist weibliche Personal mit den nötigen Ressourcen und der nötigen Unterstützung ausgestattet werden. Der Bericht stellt fest, dass Frauen an vorderster Front für die Durchführung von Impfungen zuständig sind, aber sie sind mit geringer Bezahlung, informeller Beschäftigung, fehlenden formalen Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten und Bedrohungen ihrer Sicherheit konfrontiert.

Um die Überlebenskrise der Kinder zu bewältigen, fordert UNICEF die Regierungen auf, ihre Zusage zur Aufstockung der Finanzmittel für Impfungen zu verdoppeln und mit den Akteuren zusammenzuarbeiten, um die verfügbaren Ressourcen, einschliesslich der restlichen Covid-19-Mittel, freizusetzen, damit die Aufholimpfungen zum Schutz der Kinder und zur Verhinderung von Krankheitsausbrüchen dringend umgesetzt und beschleunigt werden können. 

Forderungen von UNICEF 
Der Bericht fordert die Regierungen auf:

  • Dringend alle Kinder zu identifizieren und zu erreichen, insbesondere diejenigen, die während der Covid-19-Pandemie nicht geimpft wurden
  • die Nachfrage nach Impfstoffen zu stärken, insbesondere durch Vertrauensbildung
  • Vorrangige Finanzierung von Impfdiensten und medizinischer Grundversorgung
  • Aufbau widerstandsfähiger Gesundheitssysteme durch Investitionen in weibliches Gesundheitspersonal, Innovation und lokale Produktion

«Impfungen haben Millionen von Menschenleben gerettet und Gemeinschaften vor tödlichen Krankheitsausbrüchen geschützt», sagte Catherine Russell. «Wir wissen nur zu gut, dass Krankheiten keine Grenzen kennen. Routineimpfungen und starke Gesundheitssysteme sind unsere beste Chance, künftige Pandemien, unnötige Todesfälle und Leid zu verhindern. Da noch Mittel aus der Covid-19-Impfaktion zur Verfügung stehen, ist es jetzt an der Zeit, diese Mittel umzuleiten, um die Impfdienste zu stärken und in nachhaltige Systeme für jedes Kind zu investieren.»


Hinweise für die Redaktion:

Der «State of the World's Children» SOWC ist der wichtigste Bericht von UNICEF. Die Ausgabe 2023 ist die erste Ausgabe des Berichts, die ausschliesslich der Routineimpfung gewidmet ist. UNICEF erreicht jedes Jahr fast die Hälfte aller Kinder weltweit mit lebensrettenden Impfungen. 

Ab dem 20. April, 02:00 Uhr, können Sie eine spezielle interaktive Funktion auf unserer Website entdecken und den Bericht hier herunterladen.

Multimediainhalte, einschliesslich neuer Fotos, B-Rolls und Fallstudien, sind hier verfügbar.

*Das Vaccine Confidence Project (VCP) an der London School of Hygiene & Tropical Medicine beobachtet das Vertrauen in Impfstoffe seit 2015 durch die Analyse von Daten aus national repräsentativen Länderumfragen. Die in diesem Bericht vorgestellten Daten stammen aus einer groß angelegten retrospektiven Studie über Veränderungen des Impfstoffvertrauens zwischen 2015 und November 2019 sowie seit 2021. Die Daten in diesem Bericht stellen eine Teilmenge eines umfassenderen Datensatzes dar, der vom VCP gesammelt wurde. Sie können den vollständigen Datensatz mit diesem interaktiven Kartentool erkunden.

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