Weltweiter UNICEF Bericht zu Gewalt gegen Kinder

Zürich/New York, 4. September 2014 – Kinder und Jugendliche sind weltweit in ihrem näheren Lebensumfeld in erschreckendem Ausmass körperlichen, sexuellen und seelischen Misshandlungen ausgesetzt. Bis heute sind Haltungen, die Gewalt rechtfertigen, stillschweigend hinnehmen oder als nicht schädlich ansehen, weit verbreitet. Dies sind Ergebnisse des neuen UNICEF Berichts «Hidden in Plain Sight», basierend auf einer umfassenden Datensammlung aus 190 Ländern.

«Es sind unbequeme Tatsachen – keine Regierung, keine Eltern hören sie gerne», sagt UNICEF Exekutivdirektor Anthony Lake. «Aber wenn wir nicht die verzweifelte Wirklichkeit hinter den Statistiken zur Kenntnis nehmen, werden wir niemals die verbreitete Haltung verändern, dass Gewalt gegen Kinder normal und zulässig ist.»

Für den Bericht «Hidden in Plain Sight» hat UNICEF systematisch Daten zu Gewalt gegen Kinder durch Familienangehörige, Nachbarn, Freunde oder Mitschülerinnen und Mitschüler aus 190 Ländern untersucht. Trotz weiter bestehender erheblicher Informationslücken macht der Bericht das vielfach verdrängte und übersehene Leid der Kinder und die oftmals lebenslangen Folgen sichtbar. Kinder, die regelmässig Gewalt ausgesetzt sind, haben häufig Lernprobleme, entwickeln nur ein geringes Selbstvertrauen und leiden öfter unter Depressionen. Kinder, die in einer solchen Umgebung aufwachsen, setzen die gelernten Strategien in Konfliktsituationen später häufig gegen ihre eigenen Partner oder Kinder ein.

«Gewalt an Kindern gehört zu jenen Kinderrechtsverletzungen, die ein entscheidender Hemmfaktor für die körperliche, seelische und soziale Entwicklung des Kindes darstellen», sagt Elsbeth Müller, Geschäftsleiterin UNICEF Schweiz. «Gewalt kommt überall vor – offen oder verdeckt und häufig gesellschaftlich geduldet. Der Schutz von Kindern vor Gewalt gehört daher zu den wichtigen Aufgaben unserer Gesellschaft. Eine gewaltfreie Kindheit ist ein grundlegendes Recht des Kindes, und jedes Land, das die Kinderrechtskonvention ratifizierte, hat sich verpflichtet, dies zu garantieren».

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Tödliche Übergriffe auf Kinder und Jugendliche
    Im Jahr 2012 wurden weltweit rund 95‘000 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren getötet. Die weitaus grösste Zahl von ihnen stammt aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Lateinamerika und die Karibik weisen das höchste Ausmass tödlicher Gewalt auf – gefolgt von Westafrika. Die drei Länder mit der höchsten Mordrate sind El Salvador, Guatemala und Venezuela. Die meisten tödlichen Übergriffe auf Kinder verzeichnen 2012 Nigeria (13‘000) und Brasilien (11‘000).
  • Gewalttätige Erziehungspraktiken
    Schläge, Anschreien und andere Formen der Misshandlung wie Einsperren gehören für viele Kinder auf der Welt weiter zum Alltag. Die Auswertung von Daten aus 58 Staaten zeigen, dass 17 Prozent der Kinder immer wieder schwere Prügelstrafen erhalten. In Ägypten, Jemen und Tschad sind sogar 40 Prozent der Kinder betroffen.
  • Haltungen zu körperlicher Züchtigung
    Drei von zehn Erwachsenen weltweit sind der Meinung, dass körperliche Züchtigungen zur Erziehung dazugehören, um ein Kind zu disziplinieren und gut aufzuziehen. In den meisten Ländern herrschen solche Einstellungen vor allem bei Erwachsenen mit geringer Bildung und in sehr armen Familien vor. Im Jemen beispielsweise teilen 51 Prozent der Mütter diese Ansicht.
  • Gewalt zwischen Kinder und Jugendlichen und in Beziehungen
    Körperliche Auseinandersetzungen unter Heranwachsenden sind weit verbreitet. In 25 Ländern, aus denen Daten vorliegen, sind 13 bis 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen davon betroffen. Weltweit erfährt jeder dritte Schüler regelmässig Mobbing – oft gepaart mit körperlichen Drangsalierungen.
    Mädchen erleben häufig durch ihren Freund oder Partner Gewalt. Weltweit ist nahezu jedes dritte Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren, das in einer Partnerschaft lebt, Zielscheibe emotionaler, körperlicher oder sexueller Misshandlungen durch ihren Partner oder Ehemann (84 Millionen).
  • Sexuelle Gewalt
    Schätzungsweise jedes zehnte Mädchen auf der Welt macht in ihrem Leben die Erfahrung, zum Geschlechtsverkehr gedrängt oder gezwungen zu werden. Sexuelle Gewalt geht in den weitaus meisten Fällen von den Partnern, Ehepartnern oder Freunden aus. Während das Phänomen oft mit armen Ländern oder Krisengebieten in Verbindung gebracht wird, ist es jedoch auch in Industrieländern verbreitet. Eine häufige Form sexueller Gewalt ist heute auch die Blossstellung oder Belästigung im Internet.
  • Haltungen zu Gewalt
    Die Hälfte aller Mädchen und jungen Frauen zwischen 15 und 19 Jahren (rund 126 Millionen) sind der Meinung, dass ein Ehemann oder Partner berechtigt ist, seine Frau gelegentlich zu schlagen. Im südlichen Afrika, in Nordafrika und im Nahen Osten ist der Anteil noch höher. Auch in Südasien ist diese Einstellung weit verbreitet. Daten aus 30 Ländern dokumentieren, dass sieben von zehn Mädchen, die Opfer sexueller Gewalt waren, niemals Hilfe gesucht haben. Viele dachten nicht, dass es Missbrauch war und erkannten nicht, dass dies ihnen schadet.

Zentrale Strategien gegen Gewalt
UNICEF hebt sechs zentrale Strategien hervor, um gegen Gewalt gegen Kinder vorzugehen. Dazu gehören Unterstützungsprogramme für Eltern, die Stärkung des Selbstbewusstseins von Kindern, Aufklärungskampagnen, Gesetzesreformen und wirksame Kinderschutzsysteme. Eine kontinuierliche Überwachung und Dokumentation des Problems ist Voraussetzung für eine effektive Umsetzung.

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Andrea Kippe
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