Immer mehr Kantone führen eine Maskenpflicht an Primarschulen ein. Die Meinungen, Bedürfnisse, Fragen und Bedenken der Kinder bleiben dabei aussen vor. Bei der Abwägung der Massnahmenumsetzung muss ihr Recht auf Partizipation jedoch bewahrt werden. Ein Statement von UNICEF Schweiz und Liechtenstein.
Mit den Befürchtungen einer dritten Welle stehen Schulen aktuell im Brennpunkt der öffentlichen Diskussion zur Bekämpfung des Coronavirus. Die Frage, welche Massnahmen für Kinder in der Grundschule sinnvoll sind, wird auf allen Ebenen diskutiert. Insbesondere die in einigen Kantonen eingeführte Maskenpflicht auf Primarstufe erhitzt die Gemüter.
Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO soll bei Kindern zwischen sechs und elf Jahren bei der Entscheidung, eine Maske zu verwenden, ein risikobasierter Ansatz angewendet werden. Dabei soll einerseits das aktuelle Infektions- und Übertragungsrisiko der spezifischen Altersgruppe geprüft und andererseits die Fähigkeit des Kindes, sich an die korrekte Verwendung der Maske zu halten, beachtet werden. Zudem ist die Berücksichtigung der Verfügbarkeit von Erwachsenenaufsicht und die möglichen Auswirkungen des Maskentragens auf das Lernen und die Entwicklung unabdingbar. Die Lage muss entsprechend im regelmässigen Abstand neu eingeschätzt und Massnahmen sinngemäss angepasst werden.
Maskenpflicht zur Sicherung der Bildungschancen
Es ist nicht auszuschliessen, dass das Tragen von Masken mit vielen Herausforderungen für den Schulunterricht verbunden ist. Als Teil einer umfassenden Strategie zur Eindämmung des Virus trägt die Maskenpflicht jedoch dazu bei, dass Schulen offenbleiben und Kindern dadurch ihr Recht auf Bildung weiterhin bewahrt wird. Kinder erkranken nach Angaben der WHO zwar weniger an Covid-19, haben aber tendenziell eine grössere Anzahl von Kontakten in der Schule und in öffentlichen Bereichen. Mit der neuen Mutation des Covid-19-Virus muss die Lage zudem neu beurteilt werden. Erneute Schulschliessungen sind aber zu vermeiden, denn unlängst zeigen nationale Studien, dass der Fernunterricht vor allem für Kinder im Primarstufenalter negative Auswirkungen auf deren Chancengerechtigkeit und den allgemeinen Lernfortschritt hat. Mehr Informationen dazu in unserem Statement zur Bedeutung der Schulschliessung. Der Aspekt der Bildungschancen ist somit ein wichtiger bei der Abwägung bezüglich der Verordnung einer Maskenpflicht auf Primarstufe.
Eine kindsgerechte Lösung braucht den Dialog
Damit das Tragen von Masken auf Primarstufe weder das Lernen beeinträchtigt noch das subjektive Wohlbefinden der Kinder negativ beeinflusst, braucht es Strukturen im Schulalltag, die Flexibilität und Alternativen im Unterricht zulassen. Kinder müssen die Möglichkeit haben, im Falle von Konzentrationsschwierigkeiten, Unwohlsein oder Müdigkeit ihre Maske abzunehmen, zu pausieren und/oder gewisse Arbeitsschritte geschützt in anderen Räumlichkeiten wahrzunehmen. Um den Schulalltag mit Maskenpflicht kindsgerecht und bedürfnisorientiert zu gestalten, muss die Meinung der Kinder eingeholt werden.
Obwohl sich die getroffenen Massnahmen direkt auf Kinder und deren Wohlbefinden auswirken, werden Kinder selbst jedoch nicht in die Entscheidungen und Massnahmenplanungen miteinbezogen. Die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) ist deshalb mit einem Appell an den Bundesrat herangetreten und fordert einen verstärkten Einbezug der Kinder in seine Entscheidungsprozesse. Denn Kinder haben das Recht auf Partizipation und somit das Recht, in Fragen mitzuwirken und mitzureden, die sie direkt betreffen. Es ist entsprechend unabdingbar, die Kinder einzubeziehen und ihre Anliegen zu berücksichtigen, wenn Massnahmen in ihrem direkten Lebensumfeld getroffen werden – und somit auch im Schulalltag.
Handlungsempfehlungen von UNICEF Schweiz und Liechtenstein
Das Tragen einer Maske kann dazu verhelfen, die Verbreitung des Virus zu begrenzen und die Pandemie einzudämmen, so dass getroffene Massnahmen schneller wieder gelockert werden können. Die Maskenpflicht soll jedoch nicht dazu führen, dass Kinderrechte gegeneinander abgewogen werden. Die Politik muss daher strategische Schritte vornehmen, die sich an den Bedürfnissen und den Rechten der Kinder orientieren. Nur so kann durchgehend ein gleichwertiger Zugang zu Bildung für jedes Kind gewährleistet, das Wohlergehen von Kind und Familie gefördert und eine kindgerechte Entwicklung ermöglicht werden.
UNICEF Schweiz und Liechtenstein unterstützt den Appell der EKKJ und fordert die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger entsprechend dazu auf,
- geplante Massnahmen vorgängig auf ihre Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche zu prüfen und die Expertise von Fachpersonen aus dem operativen Tätigkeitsfeld einzuholen.
- Kinder und Jugendliche in die Massnahmenplanung einzubeziehen und deren Wünsche und Anliegen zu berücksichtigen. Dies bedingt eine Etablierung von Partizipationsmöglichkeiten und einen regelmässigen Austausch mit Kindern und Jugendlichen.
- sicherzustellen, dass Lehrpersonen und Schulkinder ausreichend Unterstützungsleistungen und Ressourcen haben, sodass der Unterricht flexibel sowie bedürfnisorientiert gestaltet werden kann und der Bildungserfolg nicht gefährdet ist.
- konkrete Massnahmen zur Wahrung der psychischen und physischen Gesundheit der Kinder im Schulalltag zu ergreifen. Dies kann die Anpassung der Leistungsmessung, der Tagesstruktur oder der Ausbau von wichtigen Dienstleistungen wie die Schulsozialarbeit oder den schulpsychologischen Dienst umfassen.
- die Schulen mit ausreichend Hygienemasken zu versorgen, sodass Lehrpersonen und Kinder ihre Masken mehrmals täglich wechseln können. Dazu gehört die Etablierung eines Systems für Entsorgung gebrauchter Masken. So kann das Risiko verringert werden, dass kontaminierte Masken in Klassenräumen und auf Spielplätzen entsorgt werden.