In den vergangenen Jahren ist die Zahl unbegleiteter Kinder, die in europäische Staaten eingereist sind und um Asyl ersucht haben, teilweise stark gestiegen. 2015 wurden in den EU- und EFTA-Ländern fast 96 000 unbegleitete Kinder verzeichnet. Alleine in der Schweiz haben 2015 mehr als 2700 unbegleitete Kinder ein Asylgesuch gestellt. Unbegleiteten Flüchtlingskindern angemessen Schutz zu bieten und ihre Rechte zu wahren, stellt Aufnahmeländer in Europa daher vor eine grosse Herausforderung. Im Leitfaden «Safe & Sound» stellen UNICEF und UNHCR Massnahmen vor, die unterstützen und sicherstellen sollen, dass staatliche Behörden und öffentliche sowie private Einrichtungen im Umgang mit unbegleiteten Kindern für das Kind im Einklang mit dem Kindeswohl handeln. Dies ist bei allen Schritten von der Ankunft bis hin zur Feststellung einer dauerhaften Lösung notwendig. Ziel ist, dass auch unbegleitete Flüchtlingskinder in erster Linie als Kinder behandelt werden und ihnen der besondere Schutz zukommt, den sie ausserhalb des Familienkreises benötigen und der ihnen zusteht.
Die Rechte von unbegleiteten Kindern sind auf internationaler Ebene durch die Konventionen zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere die Kinderrechtskonvention, geschützt. Auch auf nationaler Ebene sind sie in den jeweiligen Gesetzestexten verankert. Hinzu kommen zahlreiche Schutzbestimmungen in EU-Richtlinien und Grundlagendokumenten, die zum Teil auch für die Schweiz von Bedeutung sind. Im Zentrum steht dabei immer das Prinzip des Vorrangs des Kindeswohls im Sinne des übergeordneten Kindesinteresses.
Der Leitfaden von UNICEF und UNHCR ist chronologisch in verschiedene Stadien gegliedert: von der Ankunft über die Identifizierung, die Registrierung, die Prozessplanung der Asyl- und Kinderschutzbehörden, das Asylverfahren bis hin zur Feststellung einer dauerhaften Lösung für das Kind. Bei jedem Schritt wird aufgezeigt, welche Massnahmen und Prozessabläufe wichtig sind, um das Kindeswohl zu wahren. Je weitreichender die Entscheidungen sind, die für das Kind getroffen werden, desto formalisierter sollte das Verfahren zur Bestimmung des Kindeswohls sein. Alle relevanten Informationen über das Kind sollten einbezogen und entsprechend gewichtet werden. Wichtig ist dabei die Unterstützung durch einen unabhängigen Vertreter, aber auch die Möglichkeit des Kindes, seine Interessen und Ansichten zu äussern. Insbesondere im Asylverfahren mit seiner weitreichenden Bedeutung ist es wichtig, kinderspezifische Aspekte zu beachten und die Kriterien für die Gewährung internationalen Schutzes kindgemäss zu interpretieren. Gleiches gilt bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen.
UNICEF und UNHCR begrüssen die Bemühungen vieler europäischer Staaten, das Prinzip des Vorrangs des Kindeswohls zu berücksichtigen und Verfahrensstandards einzuführen. Im Leitfaden werden daher auch schon bestehende Verfahren aus verschiedenen europäischen Staaten vorgestellt, um darzulegen, dass eine Umsetzung praktikabel ist, und um Denkanstösse zu geben, wie die Praxis noch weiter positiv gestaltet werden kann, um den Vorrang des Kindeswohls im Verwaltungshandeln dauerhaft zu verankern.
Seit heute liegt die deutsche Übersetzung des 2014 auf Englisch erschienenen Leitfadens vor.