Geert Cappelaere, UNICEF Regionaldirektor für den Nahen Osten und Nordafrika, hat diese Woche Jemen besucht. Vor den bevorstehenden Friedensverhandlungen in Schweden gibt er ein erschütterndes Statement ab.
«Die Bedingungen, unter denen in Jemen Millionen von Kindern leben, sind eine Schande. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass so etwas im 21. Jahrhundert geschieht. Kriege, schwere Wirtschaftskrisen und jahrzehntelange Unterentwicklung haben kein einziges Kind in Jemen verschont. Das ganze Leid der Mädchen und Buben wurde von Menschen verursacht.
Es ist kaum vorstellbar, was der Konflikt in den letzten fast vier Jahren angerichtet hat. Mehr als 2700 Kinder wurden rekrutiert, um einen Krieg von Erwachsenen zu führen. Über 6700 Kinder wurden laut offiziellen Angaben getötet oder schwer verletzt. Und fast 1,5 Millionen Kinder leben als Vertriebene ein Leben, das nur ein Schatten dessen ist, was Kindheit sein sollte.
Jeden Abend gehen in Jemen 7 Millionen Mädchen und Buben hungrig ins Bett, 400 000 schwer akut mangelernährte Kinder kämpfen jeden einzelnen Tag ums Überleben. Mehr als 2 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, und die übrigen müssen sich mit schlechter Unterrichtsqualität und überfüllten Klassenzimmern abfinden.
Nur im direkten Gespräch mit den Kindern erkennt man, wie zahlreich und tief ihre Wunden sind. Hinter den Zahlen stehen Mädchen und Buben mit Namen, Gesichtern, Familien, Freunden, Geschichten, zerstörten Träumen und zu kurzen Leben.
Der zwölfjährige Zakaria, den ich in einem Rehabilitationszentrum getroffen habe, trat beim Ziegenhüten auf eine Landmine und wurde für immer verstümmelt. Er fragt sich, ob er seine Lieblingsziege jemals wiedersehen wird. Die neunjährige Alia schlief, als ihr Haus angegriffen wurde. Sie wachte im Spital ohne Beine auf. Alia träumt davon, Ärztin zu werden.
Sind diese Zahlen – und die Geschichten dahinter – tatsächlich von Bedeutung? Sie hätten die Welt schon vor langer Zeit wachrütteln sollen. Der gegenwärtige Krieg und die Wirtschaftskrise verschlimmern in Jemen eine ohnehin trostlose Situation. Seit Jahrzehnten wird bei keiner Entscheidung an die Interessen der jemenitischen Kinder gedacht.
Fast jedes einzelne Kind in Jemen ist heute auf humanitäre Hilfe angewiesen, um überleben zu können. Die Unterstützung von UNICEF und anderen Hilfsorganisationen rettet buchstäblich Leben und gibt Kindern einen Hoffnungsschimmer.
UNICEF weitet die Nothilfe in Jemen aus und wird insbesondere mehr therapeutische Nahrungsmittel für mangelernährte Kinder bereitstellen, weitere Behandlungszentren einrichten und die Ausbildung von Gesundheitspersonal unterstützen, damit Mangelernährung im Frühstadium erkannt und rechtzeitig behandelt werden kann. Wir arbeiten unermüdlich daran, Kinder vor Krankheiten zu schützen, unter anderem mit einer laufenden Polio-Impfkampagne, die bisher über 4 Millionen Kinder erreicht hat.
In Jemen führt UNICEF heute die grösste Hilfsaktion weltweit durch. Um sie fortsetzen zu können, sind für 2019 mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar nötig.
Aber humanitäre Hilfe allein ist keine Lösung für diese ungeheure Krise. Der einzige Ausweg aus dem Chaos sind eine politische Einigung und umfangreiche Investitionen in den Wiederaufbau – mit den Kindern im Zentrum.
Daher begrüsst UNICEF die immensen Bemühungen des Uno-Sondergesandten Martin Griffiths. Wir rufen alle Parteien, die sich in Schweden treffen werden – und alle, die einen Einfluss auf sie haben –, dazu auf, für einmal ihre politischen, militärischen und finanziellen Interessen zugunsten der Kinder und ihrer Bedürfnisse zurückzustellen. Die Zukunft der Kinder liegt in ihren Händen.
Lassen Sie die jemenitischen Kinder nicht erneut im Stich.»
— Geert Cappelaere, UNICEF Regionaldirektor für den Nahen Osten und Nordafrika