Kinder sprechen nur selten über ihre psychischen Probleme

In Ergänzung des im Oktober 2021 veröffentlichten «Berichts zur Situation der Kinder in der Welt 2021» präsentiert UNICEF heute einen ergänzenden Bericht, der einen vertieften Einblick in die Lebenswelt der Jugendlichen gibt. Fest verankerte Rollenbilder und Stigmatisierung halten Jugendliche davon ab, Hilfe für psychische Erkrankungen zu suchen.

© UNICEF/UN0611551/Pancic

Der heute veröffentliche Begleitbericht von UNICEF liefert Erklärungsansätze zu den quantitativen Ergebnissen aus der Online-Umfrage, die UNICEF Schweiz und Liechtenstein in der darauf basierenden Studie «Psychische Gesundheit von Jugendlichen in der Schweiz und Liechtenstein» vergangenen November 2021 generiert hat. So wurde in der Online-Umfrage etwa herausgefunden, dass nur wenige Jugendliche Hilfe suchen, wenn sie psychische Probleme haben. Eine Erklärung dafür liefert dieser Report: Zum einen geht es um fest verankerte Rollenbilder: So müssen Buben stark sein und sollen ihre Gefühle nicht zeigen. Zum anderen unterliegen insbesondere Mädchen ungerechten Normen, die ihr Leben abwerten, ihre Freiheiten einschränken und sie in Richtung schädlicher Schönheitsideale drängen. Allgemein berichten Jugendliche, dass sie ihre psychischen Probleme deshalb verbergen, weil sie teils befürchten, dass ihre Gefühle und Erfahrungen von Freunden und Familie abgewertet werden. Das Stigma hält Jugendliche erheblich davon ab, Hilfe für psychische Erkrankungen zu suchen. Infolgedessen kommen viele Jugendliche ohne Unterstützung zurecht, oft mit maladaptiven Strategien. 

Weitere Kernaussagen des Begleitberichts:

  • Heranwachsende beschreiben, verstehen und kommunizieren Herausforderungen in Bezug auf ihre psychische Gesundheit in nicht-klinischen Begriffen wie: Traurigkeit, Einsamkeit, Scham, Langeweile, Wut und Niederlage.
  • Die Lebensumstände der Jugendlichen bedingen viele der Probleme im Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit. Die Verbesserung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen erfordert darum, sich mit den Lebensumständen zu befassen und die Faktoren zu adressieren, die Stress verursachen.
  • Familien können zwar eine enorme Unterstützung sein. Aber sie können auch ein erhebliches Risiko für das Wohlbefinden durch einen allgemeinen Mangel an Unterstützung, Missbrauch, Vernachlässigung, Druck und Kontrolle sowie finanzielle Instabilität darstellen. Insgesamt wünschen sich Heranwachsende mehr Unterstützung und Bestätigung als die Eltern oft bieten. Kinder und Jugendliche beschreiben das mit «Stark sein müssen»; «den elterlichen Ansprüchen genügen»; «nicht weinen dürfen».  
  • Trotz der vielen Vorteile, die Schulen bieten, sprechen die Jugendlichen mehr über die Risiken, darunter der hohe akademische Druck sowie nicht unterstützende und missbräuchliche Lehrer. Gerade in Ländern wie etwa in der Schweiz hat sich ergeben, dass der hohe akademische Druck relevant ist, oder auch, dass die frühe Berufswahl die Jugendlichen unter Druck setzt.
  • Digitale Technologien sind ein zweischneidiges Schwert für die psychische Gesundheit. Digitalisierung fördert zwar die Möglichkeiten, mit anderen in Kontakt zu treten, setzen die Jugend aber gleichzeitig Risiken aus, die ihr Wohlbefinden beeinträchtigen können, das sich etwa in Cyberbullying niederschlägt.
  • Gewalt, sowohl erfahrene als auch angedrohte, ist für Jugendliche in vielen Ländern alltäglich, mit schwerwiegenden Auswirkungen auf Gesundheit. Mobbing ist eine ständige Bedrohung und tritt weltweit in Form von verbalem, körperlichem, Beziehungs- und Cybermobbing auf.
  • Die Covid-19-Pandemie hat das psychische Wohlbefinden vieler Jugendlicher beeinträchtigt, insbesondere durch die Isolierung von ihren sozialen Netzwerken.

Empfehlungen:

  1. Den Jugendlichen zuhören.
  2. Familien, Eltern und Bezugspersonen unterstützen. Diese Anspruchsgruppen sollen die Gefühle der Jugendlichen besser verstehen lernen und Möglichkeiten aufgezeigt bekommen, wie sie damit umgehen.
  3. Sicherstellen, dass die psychische Gesundheit in der Schule unterstützt wird.
  4. Den Zugang zu Angeboten der psychischen Gesundheit verbessern.
  5. Soziale Determinanten der psychischen Gesundheit adressieren, wie beispielsweise Armut, Diskriminierung oder Migration.